
Ein Mann, ein Ziel und viele Schritte
Christian Taylors Tipps im Umgang mit Zielen: «Ziele geben einem etwas, wonach man streben kann. Wichtig ist, sich zuerst kleinere Ziele zu setzen, bevor man grössere angeht. Ausserdem muss man diszipliniert und bereit sein, Opfer zu bringen. Man sollte die Pros und Kontras sorgfältig abwägen und sich im Klaren sein, wer oder was einem hilft, die gesteckten Ziele zu erreichen und welche Faktoren einen ablenken.»
Lerne von Christian Taylor
Weltklasse-Athleten sind auch deshalb Weltklasse, weil sie nie aufhören, noch besser zu werden. Was treibt sie an? Wie gehen sie mit Herausforderungen um? Was können wir von ihnen lernen?
Mit den monatlichen Inspiration-Porträts geht Weltklasse Zürich dem Mindset der besten Leichtathletinnen und Leichtathleten auf den Grund. Nach der Schweizer Sprintqueen Mujinga Kambundji ist die Reihe an Christian Taylor (USA). Der zweifache Olympiasieger, vierfache Weltmeister und siebenfache Gesamtsieger der Wanda Diamond League hat in den letzten zehn Jahren fast alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Und doch hat er noch ein paar gute Gründe, seine «Mission» fortzusetzen.
Vom Weltrekord inspiriert
Wenn Christian Taylor beim Anlauf steht und seinen Fokus Richtung Sandgrube richtet, dann hat er immer wieder das gleiche Bild vor Augen: Jonathan Edwards (GBR), wie er an den Weltmeisterschaften 1995 in Göteborg als erster Dreispringer die magischen 18 Meter überwand und den Weltrekord auf 18,29 m schraubte. Obwohl Taylor, am 18. Juni 1990 in Fayetteville/Georgia geboren, damals erst fünf Jahre zählte, sollte ihn die Marke bis heute verfolgen, ja sie ist zu seiner Mission geworden.
Seit den Welttitelkämpfen 2015 fehlen dem zweitbesten Dreispringer aller Zeiten noch 8 Zentimeter zum grossen Ziel. «Die Leichtathletik lebt von Zahlen und Namen, mit dem Weltrekord würde ich ein Vermächtnis hinterlassen», glaubt der US-Rekordhalter (18,21 m), der inzwischen mit seiner Verlobten, der österreichischen Hürdensprinterin Beate Schrott, in Wien lebt.
Mit Zwischenzielen zum Erfolg
Zwei olympische Goldmedaillen und vier Freiluft-WM-Titel seit 2011 machen Christian Taylor zu einem der erfolgreichsten Leichtathleten der vergangenen Dekade. Abseits der Stadien ist der 30-Jährige seit 2013 Teil des nordamerikanischen Programms «Classroom Champions», im Rahmen dessen (Para-)Olympioniken Schulkindern unter anderem lehren, wie sie sich Ziele setzen und diese auch erreichen können. Und wenn einer weiss, wie man seine Ziele und Träume verwirklicht, dann Christian Taylor – nämlich «step by step» und mit letzter Konsequenz.
So hat er das geliebte Fussballspiel einst für die Leichtathletik aufgegeben. Via Cross-Country- und 400-m-Lauf landete er schliesslich beim Weit- und Dreisprung, wagte allerdings noch nicht vom Olympiasieg zu träumen. «Zunächst wollte ich einfach der Beste meiner Schule sein, dann meines Bundestaates und dann Mitglied des US-Teams werden», blickt der U18-Weltmeister von 2007 auf seine ersten Schritte zurück.
Hop, Step, Jump – Dreispringer sind sich gewohnt, auf dem Weg zur Bestleistung mentale Zwischenmarken zu setzen und nicht gleich beim ersten Versuch 18 Meter anzupeilen.
Der mentale Wendepunkt zum WM-Titel
Den Wendepunkt in Christian Taylors Denken markierte seine erste WM-Teilnahme 2011 auf Elitestufe. Plötzlich sollte sich der frisch gebackene US-Meister und mehrfache NCAA-Champion der University of Florida mit Athleten messen wie Nelson Évora (POR) oder Christian Olsson (SWE), beides Olympiasieger und Weltmeister. Athleten, die er bewunderte und zu denen er hochschaute. «Ich war es gewohnt, gegen Leute im gleichen Alter oder vom gleichen Kontinent anzutreten, aber nicht gegen Weltmeister und Olympiasieger.»
Um auf deren Niveau zu gelangen, musste Debütant Taylor sein Mindset ändern und sich einreden, dass jeder Wettkampf für alle wieder bei null beginne. Mit der Finalqualifikation war ein wichtiges Teilziel erfüllt. «Ich sagte mir: Jetzt bist du dran, jetzt musst du dein eigenes Vorbild sein.» Bestärkt durch das gesteigerte Selbstbewusstsein, pulverisierte der damals 21-jährige Finalist seine persönliche Bestleistung und errang mit der Jahresweltbestleistung von 17,96 m seinen ersten von vier WM-Titeln. Obendrein schaffte er das einmalige Kunststück, Olympiagold 2012 und 2016 mit zwei unterschiedlichen Sprungbeinen zu holen…
Die Frage nach dem Warum
Christian Taylor bleibt gleichwohl hungrig und demütig. Auch, weil er sich intensiv mit dem Warum beschäftigt. «Ich werde stets gefragt, warum ich weitermache, warum ich noch nicht genug hätte. Ganz einfach: Ich finde jedes Jahr etwas anderes, das mich motiviert.»
Die grösste Motivation schöpft der Mentor und Lehrer mittlerweile aus seiner Vorbildrolle für die Kids, die er unterrichtet: «Sie sind mein Hauptantrieb, auch dann rauszugehen und für meine Ziele zu arbeiten, wenn es regnet und kalt ist. Was ich meinen Schülern lehre – dranzubleiben, nicht aufzugeben und sich durchzukämpfen –, verlange ich auch von mir.»
Ziele auf Post-its
Während der eigenen Schulzeit habe er seine Ziele in Form von Stickern und Post-its an sein Schliessfach geklebt. «Sie erinnerten mich täglich daran, warum ich etwas tue.» Ist diese Grundsatzfrage einmal geklärt, erhält jedes Training, jeder Wettkampf, jeder Sprung eine ganz neue Bedeutung auf dem Weg zur Mission Weltrekord. Der letzte Schritt ist der wichtigste. Christian Taylor verfügt über das entsprechende Mindset und die nötige Motivation.